Josef Baumann und die Geschichte der Lehr- und Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwertung in Ober-Erlenbach

Als vor Ober-Erlenbach entscheidende Impulse für die sich entwickelnde Fruchtsaftindustrie ausgingen.

1927 ein katholisch und landwirtschaftlich geprägtes Dorf

Ober-Erlenbach war 1927 ein katholisch und landwirtschaftlich geprägtes Dorf am Rande der Wetterau, als der in Freiburg 1877 geborene Obstbautechniker Josef Baumann dort eintraf. Der Pomologe und Obstbaulehrer Josef Baumann hatte den Auftrag, in dem verschlafenen Dorf mit 1100 Einwohnern eine „Lehr- Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwertung“ (kurz LUVA) aufzubauen. Die entscheidenden Anstöße dafür, kamen aus der Abstinenzbewegung, ohne die es die LUVA nicht gegeben hätte.  

Die Vorgeschichte

Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland Bestrebungen zur Eindämmung des Alkoholismus, der in der Zeit rasch wachsender Städte und Industrie eine bedenkliche Entwicklung genommen hatte. 1895 hatte in Basel ein internationaler Abstinenzkongreß stattgefunden, auf welchem der Schweizer Prof. Dr. Müller-Thurgau seinen berühmten Vortrag „Die Herstellung unvergorener und alkoholfreier Obst- und Traubenweine„ gehalten hatte. Von der Schweiz und Müller-Thurgau ausgehend fasste die Idee der gärungslosen Früchteverwertung auch in Deutschland Fuß. Im Sommer 1912 fand in Freiburg der „7. Deutsche Abstinenztag“ statt. Dort konnte Dr. Max Moser, der dort das „Fink`sche Mostfass“ gezeigt und Apfelsaft ausgeschenkt hatte, Baumann für den zu gründenden Verein für gärungslose Früchteverwertung in Freiburg gewinnen (Ein Original-Mostfass sehen Sie oben in der Ausstellung). Dort konstruierte Baumann den als „Baumann-Glocke“ berühmt gewordenen Apparat zur Süßmostherstellung. In der Ausstellung sehen Sie mehrere Original-Baumannglocken. Eine dieser Glocken konnte die Heimatstube 1997 von einem Herrn Bernhard Schaa Beewag aus Queensland in Australien zurückholen. Uns liegt die Zollerklärung vom 25.1.1997 vor. Sowie eine weitere von Günter Knöller aus Höfen an der Enz, der von 1955 – 1956 Praktikant in der LUVA war.

Die Abstinenzbewegung kauft das Grundstück in OE

Warum Ober-Erlenbach wissen wir noch nicht. Die  Initiative zur Gründung der Lehr- und Versuchsanstalt in Ober-Erlenbach ging dann vom „Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke“ aus. Dessen Vorsitzenden, des 1883 in Berlin gegründeten Vereins.Prof. Gonser war Baumanns Arbeit nicht verborgen geblieben. Der Verein kauft für 1000 Reichsmark das Anwesen in Ober-Erlenbach, das vorher als Mühle und zuletzt als Gipsfabrik genutzt worden war und stellte es Baumann mit dem Auftrag zur Verfügung, dort eine „Lehr- und Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwertung“ (kurz LUVA) aufzubauen. Das war der Beginn der LUVA.

Zentrum der deutschen Fruchtsaft-Industrie

Innerhalb weniger Jahre entstand in Ober-Erlenbach unter der Leitung von Baumann ein Zentrum der deutschen Fruchtsaft-Industrie. Wer etwas über Fruchtsaft wissen will, der geht zu Baumann nach Ober-Erlenbach, hieß es in der Branche. 1934 kam die Anerkennung als „Staatlich anerkannte Lehr- und Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwertung“ mit Lehrräumen und einem praktischen Betrieb hinzu, in welchem ständig Praktikanten und Lehrlinge aus aller Herren Länder ausgebildet wurden.  Das Fachblatt „Flüssiges Obst“ – das heute noch existiert - wurde später dort verfasst und monatlich herausgegeben. Der Beruf des Süßmosters mit 3jähriger Lehrzeit wurde geschaffen und in Bad Homburg 1957 in der Kaiser-Friedrich-Promenade 111a dafür die Zentralberufsschule für Lehrlinge des Süßmostgewerbes eingerichtet. Die zunächst in Ober-Erlenbach und später in Bad Homburg ansässige Süßmost-Geräte-Zentrale GmbH wurde gegründet, um Maschinen, Geräte und Lagergefäße für die gewerbliche Süßmostherstellung zu entwickeln und zu vertreiben.

Daneben wurde fast das gesamte Obst aus dem Dorf und der Umgebung im Herbst angeliefert und zu Saft verarbeitet, 1928 bereits etwa 5000 Liter. Für 100 kg abgelieferte Kelter-Äpfel gab es 50 Flaschen Apfelsaft. In der Ausstellung sehen sie eine Originalwaage und ein Foto zeigt die Anlieferung des Obstes.

Von Anfang an stand die LUVA im Zeichen der sich entwickelnden nationalen und internationalen Fruchtsaftherstellung. So war es nur folgerichtig, dass die LUVA auf Messen präsent war und dass internationale Gäste zur Ausbildung kamen.

Bomän und Irlenbäk

Eine der schönsten Geschichten hat Clemens Knobloch – Süßmostlehrling von 1948-1950 in der LUVA und später in der SGZ -  aufgeschrieben. Die Geschichte von Bomän und Irlenbäk.

Es war 1956 in einem irischen Dorf mit dem Namen Brosna in der Nähe von Shannon im Südwesten der Grünen Insel. Drei junge Männer im Alter von 20 und 22 Jahren: Sean, Tommy und Charly, haben keine Arbeit, aber sie haben Brombeerhecken und Apfelbäume. Aber was damit anfangen? Ein Regierungsbeamter  vom County Kelly fordert sie auf: Macht Süßmost und ihr bekommt ein Darlehen.  Und er drückt ihnen einen Zettel in die Hand:

Mr. Baumann (engl. Bomän)

Erlenbach, Germany (engl. Irlenbäk)

Mit diesem Zettel im Koffer setzen sich die drei Burschen in die nächste Fähre nach dem Kontinent und lassen sich hier erklären, wo Irlenbäk liegt. Man schickt sie nach Karlsruhe und von hier aus nochmals 80 km weiter in die Nähe von Heilbronn. Aber hier kennt keiner den Bomän, und vom SüBmost weiß man auch nichts. Die drei Iren verfluchen den Beamten vom County Kelly daheim und beschließen, das Kapitel "Süßmost" abzuschlien und nach Hause zu fahren. Über Frankfurt wollen sie zurück fahren; denn Frankfurt, so
haben sie gehört, soll eine recht lustige Stadt sein. Dort erzählen sie von dem unauffindbaren Mr. Bomän aus Irlenbäk. In Frankfurt fragt sie ein Barmann: "Hi, how do you spell this guy Bomän? And this place Irlenbäk ?“ So kramt Sean den ominösen Zettel aus der Hosentasche und legt ihn auf die Theke. Mr. Baumann, Erlenbach, Germany. Aha, sagt der Bar-Freund, dann nehmt euch morgen früh ein Taxi und fahrt 15 km in Richtung Homburg: dort gibt s so ein Kaff und die haben, glaube ich, auch so 'ne Saftbude. Und so kommen Sean, Tommy und Charly zum Boman nach Irlenbäk. Vier Monate später hat Clemens Knobloch für die SGZ in Brosna die Irish fruit company Co. Installiert und in Betrieb genommen. Darüber finden sich zahlreiche Fotos im irischen Internet.

1958 besuchte eine südkoreanische Wirtschafts-delegation Bad Homburg und wollte unbedingt zur LUVA, um die vollautomatische Anlage zur Saftherstellung kennenzulernen. In den 60er Jahren gab es die „Erlenbacher Natursäfte“ in den Flugzeugen der Deutschen Lufthansa und Condor.

Quer durch Deutschland gibt es zahlreiche Klein- und Großbetriebe, deren Vorfahren bei Baumann das Handwerk gelernt haben und deren Nachkommen den Betrieb bis heute weiterführen. Genannt sei hier beispielhaft die Kelterei Müller GmbH & Co. KG aus Butzbach-Ostheim.

Aus Baumanns Feder kamen zahlreiche Publikationen, so auch 1939 die 1. Auflage des Standardwerkes der Branche: „Handbuch des Süßmosters“ (Ist auch in der Ausstellung zu sehen). Er besuchte Kongresse und Konferenzen, hielt Vorträge und organisierte Betriebsführungen.

Von Anfang an national und international vernetzt

Unter Baumanns Mitwirkung werden in Berlin die „Hauptgeschäftsstelle für gärungslose Früchteverwertung“ und in Bad Homburg der „Internationale Ausschuss für gärungslose Früchteverwertung“ ins Leben gerufen. Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhuderts treffen sich dort in Bad Homburg Vertreter aus zwanzig Staaten, um sich über Saft auszutauschen.

1937 findet in Berlin der „Deutsche Kongress Süßmost und Obstgetränke“ statt. Hinter mir sehen Sie den Stand der LUVA auf dem Kongress. 1956 folgte der zweite Kongress in Stuttgart. In Ober-Erlenbach produzierte Baumann immer größere Mengen von Obstsaft für Sportfeste und in den sechziger Jahren für die Lufthansa. Die LUVA war, was leider kaum bekannt war und ist, von vorneherein sehr gut national und international vernetzt, eben weil sie eine bedeutende Einrichtung für die neu entstehende Fruchtsaftindustrie war.  

Eine willenstarke Persönlichkeit

Man sagte, er sei, „eine sehr willenstarke Persönlichkeit mit klarem Urteilsvermögen, pädagogischen Eifer und angeborenem didaktiaschem Geschick“ gewesen (so sein langjähriger Mitarbeiter Clemens Knobloch). Auf der Feier zu seinem 50. Todestag im Jahr 2013 bezeichneten ihn fünf ehemalige Mitarbeiter als „beliebten Chef, streng aber gerecht“. Sein letztes Lebensjahr verbrachte J. Baumann in Gonzenheim.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1963 hielt er die Leitung der LUVA in festen Händen. Für seine Verdienste wurde er 1952 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Der Heimatstube ist es zu verdanken, dass zahlreiche Objekte, aus den vor dem Abriß stehenden Gebäuden, gerettet und in das Heimatmuseum gebracht wurden. Ohne diese Initiative des damaligen Vorstands wäre dieser hiostorische Schatz unwiderbringlich verloren und diese Ausstellung nicht möglich gewesen.

Die Geschichte der LUVA lebendig halten

Wo, wenn nicht in Ober-Erlenbach kann dieses industriegschichtliche Erbe erforscht, bewahrt und präsentiert werden. Wir möchten, dass Ober-Erlenbach für all diejenigen, die über die Geschichte der Fruchtsaftindustrie forschen, zur Anlaufstelle wird. Wir bauen neben dieser Dauerausstellung ein Archiv auf, in welchem Dokumente und Publikationen gesammelt und eingesehen werden können. Wir möchten damit einen Teil der Bedeutung der LUVA, die sie einmal für Deutschland und Ober-Erlenbach hatte, wieder lebendig werden lassen.

Torsten Martin

Vorsitzender

 

Juni 2022